Das war der Anfang meiner Bühnenlaufbahn: Blauer Salon, Tübingen, Dezember 1998. Ich war unfassbar nervös, obwohl ich gut vorbereitet war: Meine allerersten Trainingseinheiten habe ich dabei schon als kleiner Junge im elterlichen Auto absolviert. Ich stamme aus einer fünfköpfigen Familie und auf unseren Urlaubsreisen tönte im Auto immer eine wilde Kakophonie aus dem Kassettendeck: Mein Vater wollte Beethoven hören, meine Mutter pochte auf Reinhard Mey, mein Bruder zog die Rolling Stones vor, meine Schwester stand damals auf Nena, … und ich? Nun ja: Benjamin Blümchen. Unser einziger gemeinsamer Nenner hier war verblüffenderweise: eine Kassette mit Ostfriesen-Witzen. Einmal Bretagne hin und zurück und ich konnte alle Pointen auswendig vortragen. Die Betonung liegt auf „auswendig“, nicht auf „verstehen“. Als Kind habe ich liebend gerne Gags erzählt, ohne den blassesten Schimmer zu haben, was sie eigentlich bedeuten. Ein Favorit meiner Kindheit war: „Ostfriesen machen einmal in der Woche einen Mus-Tag: morgens Apfelmus, mittags Pflaumenmus, abends Orgasmus!“ Das ist kein großer Brüller. Doch wenn dieser Witz erzählt wird von einem 6jährigen und zwar über den Lautsprecher im Bus auf einer Pilgerfahrt der Kolpingsfamilie und natürlich in Anwesenheit des Pfarrers, dann liegt die Gemeinde vor Lachen unten zwischen den Sitzen. Glauben Sie mir, das ist eine wahre Geschichte.
Nach der Einschulung erprobte ich mein für mich offensichtliches Talent als Klassenkasper. Höhepunkt dieser Laufbahn war das Amtieren als Präsident der jährlichen Schulprunksitzung zwei Jahre in Folge. Alkoholisch lag der Durchschnittspegel des Publikums bei zirka 1,7 Promille. Und da war der Elferrat noch nicht mal mit eingerechnet. Hier erlernte ich die Umkehrung meiner Erfahrung aus dem Kolping-Bus: Auch das Publikum muss nicht zwangsläufig jeden Jokus kapieren, um ihn komisch zu finden!
Ich gestehe, mit Beginn des Studiums verstaubten meine darstellerischen Ambitionen erstmal in der Mottenkiste meines Hirnstübchens. Eine professionelle Karriere war auf Grund meiner bürgerlichen Hasenfüßigkeit außerhalb jeglicher Vorstellungkraft: einen künstlerischen Beruf ausüben? Gerne! Aber nur beamtet, privatversichert und pensionsberechtigt. Zumal ich auch gar nicht genau gewusst hätte, welcher Weg zur Bühne der beste gewesen wäre. Meine Eitelkeit sah mich natürlich am ehesten als Schauspieler, als charismatischen Charaktermimen. Doch das Problem lag auf der Hand: Zwar gab es Theatergruppen, aber eben nicht für Chemie-Studenten wie mich. Was ich irgendwie sogar verstehen konnte. Die meisten meiner Kommilitonen hatten die einnehmende Aura eines Erlenmeyerkolbens und die faszinierende Ausstrahlung von Cobalt-60: nicht sichtbar, aber dennoch tödlich. Ergo: Wenn die Bretter des Theaters die Welt bedeuten, dreht sich dieser Planet ohne mich weiter.
Irgendwann im Laufe des Jahres 1998 stolperte ich in meine damalige Lieblingskaschemme namens „Blauer Salon“ in einen Poetry Slam rein. Wer diese Art von Veranstaltung nicht kennt: Es handelt sich dabei um einen Dichterwettstreit. In Tübingen war das aber keine elitäre, literarische Lesung vergeistigter Poeten, sondern ein bunter, anarchistischer Karneval, auf dem sich allerlei kreative Chaoten austoben durften. Vom Donner gerührt wusste ich: Das will ich auch machen! Die Wochen darauf besuchten meine Finger wie hypnotisiert die Computertastatur. Und da es zu dieser Zeit langsam weihnachtete und Tübingen sehr malerisch mit Schneematsch bekleckert war, wanderten die Gedanken gen Bethlehem … Und diesen allerersten Text von 1998 habe ich neulich in den Tiefen meines PCs wiederentdeckt. Hier schlummerte er, verborgen vor den Augen der Welt, und ich dachte: Nach mehr als einem Vierteljahrhundert ist es heute eigentlich zu spät, sich für dieses Frühwerk zu schämen. Wer also einen Blick auf eine zarte Geistesblüte des jungen Webers werfen will, möge dies nun mit Freuden tun. Aber lest das folgende Stück bitte durch die Brille der Gnade! Es war, wie gesagt, erst der Anfang …
(Die Szene: Der heilige Joseph wartet vor dem Kreissaal. Maria ist gerade bei der Entbindung.) Schwester, Schwester! Wie geht es meiner Frau Maria, bitte? Ja, natürlich bin ich der Vater! Wer soll denn sonst der Vater sein? Ja, ich danke Ihnen … (zum Publikum) Das war eben gerade gelogen. Sie wissen schon, das mit dem Vater. Ich bin nämlich gar nicht der richtige Vater. Wer der richtige Vater ist? Das glauben Sie mir sowieso nicht. Ich habe es selbst lange nicht geglaubt. Angefangen hat alles mit Marias Übelkeit am Morgen und diesem Heißhunger auf Datteln. Und irgendwann konnte ich es sehen: das war im dritten, vierten Monat. Ich bin fast ausgerastet, habe sie angebrüllt: „Maria! Wer war das?“ Doch sie lächelte nur ganz selig vor sich hin. Ich rief: „War es Jeremias? Der schleimige Fischhändler? Oder irgend so ein A… in einer römischen Uniform?“ Sie schwieg weiter und strahlte. Da packte ich sie an den Schultern, schüttelte sie wie ein Wahnsinniger und plärrte: „Du sagst mir jetzt sofort, welches Schwein dir das angetan hat!“. Da beichtete sie mit verklärter Miene: „Gott, der liebe Gott! Und sag bitte nicht Schwein zu ihm!“ Daraufhin ich: „Klar, nicht Statthalter Herodes, nicht der Kaiser von Rom, nein, Jehova persönlich ist also vorbeigekommen! Mit jemand anderem gibt sich Madame ja überhaupt nicht erst ab!“ Doch so sehr ich auch tobte, sie blieb dabei: Gott sei es gewesen. „Gut“, sagte ich, „wenn du mir den Namen nicht sagen willst, dann geh wenigstens zu ihm und sag ihm, dass ein für alle Mal Schluss ist, dass ihr euch nie mehr wiederseht, und dass er keine Ansprüche auf das Kind hat. Also, wenn du das Kind überhaupt willst?“ Sie antwortete mir: „Das kann ich nicht. Ich spreche schon täglich mit ihm!“ Dann fragte ich: „Gut, und was ist jetzt mit mir?“ Sie: „Du wirst ihn aufziehen!“ Na klar, natürlich, wer sonst! Ein anderer darf meine Freundin … und Joseph, der treudoofe Hund, darf sich hinterher um die Früchte der Lust kümmern. Aber, aber … ich werde es trotzdem tun. Warum? Ich meine, ich liebe diese Frau.
Doch das Härteste war, als ich es dann selbst geglaubt habe – oder vielmehr gewusst habe: Gott war’s. Ich meine, wenn dir ständig einer sagt, die Erde dreht sich um die Sonne, dann glaubst du irgendwann, die Erde dreht sich um die Sonne. Wenn dir ständig jemand sagt, die Erde ist rund, irgendwann ist die Erde rund. Und wenn dir ständig jemand sagt, ich kriege ein Kind vom lieben Gott, irgendwann glaubst du auch das! Und ich schwöre Ihnen, ich werde nicht der Letzte sein, der das glaubt! Und mit einem Mal war da plötzlich dieser – wie soll ich es sagen? – dieser Leistungsdruck! Ich meine, irgendwann werden Maria und ich dann ja wohl auch heiraten müssen … Und es würde wohl zu einer Hochzeitsnacht kommen und wir müssen „Es“ tun. Und verstehen Sie, ich werde mich dabei doch die ganze Zeit fragen, wie kann ihr das denn überhaupt noch gefallen? Vergleicht sie mich jetzt nicht mit ihm? Ich meine, das ist der Herr der Heerscharen, der oberste Weltenwalter. Verdammt, wenn der Kerl es fertigbringt in sieben Tagen die Welt zu erschaffen, was macht der Mann in einer Nacht mit meiner Frau, die – weiß Gott – weniger komplex ist? Ich meine, dieser Typ hat schließlich den Sex erfunden! Und ich, mein Gott, ich bin doch noch Jungfrau!
(Beruhigt sich) Vielleicht ist ja die ganze Panik auch umsonst. Vielleicht muss man sich die unbefleckte Empfängnis mehr so als eine Art In-vitro-Fertilisation vorstellen. Außerdem, was soll’s? Ein Kind mehr oder weniger …? Maria und ich wollen ja eh mindestens sieben Kinder haben. Eine ganze Heilandhorde sozusagen. Klar, mach ich mir Gedanken über unser Erstgeborenes. Das wird ja kein normales Kind sein! Hoffentlich steigt dem Balg das nicht zu Kopf. Bei so einem berühmten Vater kann das ein echtes Kreuz sein! Rein pädagogisch stehe ich da vor riesigen Problemen … Ich höre jetzt schon: „Du bist ja gar nicht mein Vater!“. Na, auf die Pubertät von dem Fratz kann man gespannt sein.
(zur Schwester) Und, Schwester, ist es da? Und was ist es? (brüllt) Ich weiß, dass er ein Kind Gottes ist!!!
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